Jäcklein-Kreis, Elisabeth. "Klebst du noch oder surfst du schon?" merz | medien + erziehung 54, no. 4 (2010): 75–79. https://doi.org/10.21240/merz/2010.4.21.
Abstract:
Arbeitsblätter waren schon immer ein Phänomen: Links klebte ein ausgeschnittener Lexikon-Eintrag, rechts oben stand mit Bleistift „Name“ und „Klasse“, darunter eine bis fünf Schreibmaschinen-getippte Fragen und per Hand gezogene Linien für die Antworten. Unten noch eine Ergänzung, vom Arbeitsblatt einer Kollegin ausgeschnitten und dazugeklebt. Bei besonders schönen Exemplaren gab es vielleicht noch einen Comic aus der Tageszeitung. Die ganze Collage wurde dann in den großen Ordner gepackt und 40 Schuldienst-Jahre lang zu Tode kopiert, bis selbst die neuesten Auflagen aussahen wie im Antiquariat erstanden … doch was bleibt den Pädagoginnen und Pädagogen auch übrig, um ihr Wissen mundgerecht und DIN A 4-förmig an die Schülerinnen und Schüler zu bringen, wenn ihnen als einzige Arbeitsmaterialien Bücher und Blätter, Schere und Kleber und der berühmt-berüchtigte Schulkopierer zur Verfügung stehen? Viel! Nach der Schuluniform, dem Rohrstock und dem Federkiel wird es langsam aber sicher auch für zusammen-kopierte Arbeitsblätter Zeit, in die Mottenkiste der Schul-Erinnerungen abzuwandern, denn ihre geistigen Väter und Mütter wandern immer häufiger ganz wo anders hin ab: in die unendlichen Weiten des World Wide Web, wo die digitale Konkurrenz zu den vergilbten Eselsohren schon lange hellwach ist. Und sie macht es den von unfreiwilligen Bastelstunden geplagten Lehrerinnen und Lehrern wahrlich leicht, neue, digitale Wege bei der Stundenvorbereitung zu beschreiten: Selbst wer sich nur zögerlich vorwagt und – den offenen Pritt-Stift noch neben der Maus bereit haltend – erst einmal unbeholfen nach „Unterrichtsmaterial“ oder „Arbeitsblätter“n sucht, wird vom Freund und Helfer Google bereits mit etwa einer halben Million Treffern belohnt. Das stürmt zwar nicht gerade alle Google-Rankings, kann es mit dem Schulkopierer aber auf alle Fälle aufnehmen (und zwar in jeder Hinsicht: bei Google findet man den alten Gesellen nämlich nur etwa 7.500 mal) und macht doch zumindest realistische Hoffnungen, dass auch etwas Brauchbares für die nächste Mathe-Stunde dabei ist. Hoffnungsfroh kann jetzt also der Pritt-Stift zugestöpselt, die Schere bei Seite geschoben und die Tastatur zurecht gerückt werden – jetzt geht es ans Aussortieren und Aussuchen. Und das kann bei großer Auswahl bekanntlich auch zur sprichwörtlichen Qual werden. Bildungsserver und Schulportal, klingende Namen wie netzwerk-lernen und eher pragmatische wie unterrichtsmaterial-schule, professionelle Download- Server und private Tausch-Communitys buhlen hier um Aufmerksamkeit, machen die Entscheidung schwer – und lassen unheilvolle Vorahnungen an unfruchtbare Klick-Odysseen aufkommen. Deshalb gilt: Augen auf beim Arbeitsblätter- Download. Blätter-tauschen mit ruedi und berni: Angebote von und für Lehrerinnen und Lehrer(n) Es wäre sicher übertrieben, zu behaupten, alles „was Lehrer können, können nur Lehrer“ – nichtsdestotrotz sind Kolleginnen und Kollegen bestimmt nicht die schlechtesten Ansprechpartner auf der Suche nach sinnvollem Unterrichtsmaterial. Das hat sich längst auch online herumgesprochen und so finden sich im Netz diverse Homepages und Foren, auf denen Pädagoginnen und Pädagogen sich gegenseitig Arbeitsblätter, Klassenarbeiten, Projektideen und Erfahrungswerte kredenzen. Bekanntestes Portal ist wohl 4teachers.de, eine Open-Source-Community, die 1999 von zwei visionären Referendaren (die heute noch als ruedi und berni dort unterwegs sind) ins Leben gerufen wurde und sich mittlerweile zum wahren Pädagogen-Mekka gemausert hat: Mehr als 580.000 tauschwillige Mitglieder tummeln sich auf den Seiten, klicken durchschnittlich sieben Millionen mal pro Monat darin herum und bieten ihre Materialien feil. Kein Wunder: Auch wenn die Seite auf den ersten Klick kein Eye-Catcher ist, sondern bescheiden grau-grüne Raufasertapeten-Optik präsentiert, überzeugt sie doch schnell durch Bedienung und Inhalte. Links alle wichtigen Rubriken von „Stundenentwürfe“ über „Foren“ und „Service“ biszum Impressum ordentlich untereinander, rechts die Anmeldung und der direkte Weg zur Community, dazwischen ein paar aktuelle Informationen über Seminare, Events, Publikationen – für so eine ordentliche Heftführung möchte man gleich einen Fleiß-Stempel aus dem integrierten 4teachers-Shop vergeben. Wer sich über eine – erfrischend unkomplizierte – Maske angemeldet hat, kann dann auch gleich in der Community mitmischen und sich durch das schier endlose Angebot klicken. Da gibt es Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, kleine Ideen und komplette Sequenz-Entwürfe, interaktive Materialien, Sounds und Videos, didaktische und methodische Hinweise, Rezensionen, Linksammlungen, ein Wiki – und zu guter Letzt, wenn der Kopf summt und der Daumen schmerzt, auch noch Forum, Chat und eine „Just4tea“-Spaßecke. Zwar ist die Bedienung nicht überall ausgefeilt, so wird das Material etwa nur nach Fächern sortiert angezeigt, nicht aber nach Jahrgangsstufen und ein Durchklicken bis zum richtigen Dokument kann sich sehr mühsam gestalten. Dafür wird man aber mit einer Suchfunktion entschädigt, die zu fast jedem beliebigen Thema eine Ergebnisliste präsentiert, bei der Lehrer-Herzen Loopings schlagen dürften. Natürlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass hier jedes Los ein Gewinn, sprich jedes Ergebnis von gleich hoher Qualität ist – das von einem komplett ehrenamtlich geführten und gefüllten Portal zu verlangen, wäre aber auch reichlich unverfroren. Dennoch bieten fast alle Ergebnisse zumindest Anregungen oder verwertbare Bestandteile, bisweilen finden sich auch wahre Goldstücke wie komplette Lehrproben oder professionell ausgearbeitete Sequenzen darunter – und als Sahnehäubchen obendrauf sind alle Inhalte garantiert schulerprobt und praxistauglich, die allermeisten sind sogar noch um Kommentare zu ihrer Tauglichkeit erweitert. Material für ein ganzes Lehrerleben also, dazu ein kleiner Shop, ein nettes Forum zum Austausch mit kathi23, klaush und BerlinerIn und das alles kostenlos und ehrenamtlich – damit verdient sich 4teachers eine ganze Tonne voll Fleiß-Bienchen. Natürlich sind berni und ruedi aber nicht die einzigen rührigen Pädagogen weit und breit und so offeriert das weltweite Netz noch viele weitere Homepages, auf denen Lehrerinnen und Lehrer ihr Können und Wissen der Welt zugänglich machen. Horst Hicke etwa, Sonderschullehrer aus Gomaringen, bietet die Erträge seiner Schullaufbahn auf www.unterrichtsmaterial-schule.de an und hat dort eine ansehnliche Sammlung an Arbeitsblättern, Klausuren et cetera im Angebot. Da die Seite keine Community, sondern nur die öffentlich zugängliche Datensammlung einer einzelnen Person ist, bietet sie natürlich einen Bruchteil der Materialflut auf 4teachers, auch die Bedienung gestaltet sich etwas schwieriger: Um zu einem Ergebnis zu gelangen, muss man sich meist durch lange, unsortierte Listen scrollen und wer dies per Suchfunktion umgehen will,wird umständlich zu Google und zurück geleitet. Dennoch punktet die Seite mit vielen interessanten Inhalten und bietet vor allem zahlreiche Links kreuz und quer durch’s Web, wie zu klassenarbeiten. de oder abfrager.de. Als Haus-und- Hof-Materiallieferant eignet sich diese – und die vielen ähnlichen, privat betriebenen – Seite(n) nicht, ist sie aber auch nicht gedacht. Schaden kann es aber auch nicht, sie in die Browser-‚Lesezeichen’ aufzunehmen – gut möglich, dass Horst Hicke einem noch einmal die kurzfristige Vertretungsstunde retten kann! Dieses Arbeitsblatt wird Ihnen präsentiert von … Angebote von Unternehmen Doch nicht nur wohlmeinende Kolleginnen und Kollegen können Lehrkräfte auf ihrer Wanderschaft durch’s weltweite Netz treffen: Auf der Suche nach dem perfekten Arbeitsblatt landet so mancher bei Siemens, Minimax oder dem Schweizer Fleischerfachverband – und das nicht etwa aus Gründen der fehlenden Motivation. Tatsächlich wird auf zahlreichen Plattformen Unterrichtsmaterial von Anbietern bereit gestellt, von denen man eigentlich eher Telefone, Feuerwehrschläuche oder Schnitzel erwartet hätte– doch unverhofft kommt schließlich oft. „Wo Schule und Wirtschaft sich treffen“ etwa sitzt kiknet.org, ein Angebot der Schweizer Kommunikationsagentur kik AG. Die übersichtlich gestaltete, sehr professionell aufgemachte Seite bietet nicht nur Arbeitsblätter, sondern ganze Sequenzpläne, Präsentationen, Tests, dazu Lehrerinfos und nette Hilfsmittel wie ein ‚Ämtliblatt’. Leider beschränkt sich das Angebot zwar bisher auf digitale Print-Materialien; Videos, Sounds oder andere Medien sucht man umsonst. Auch insgesamt ist die Auswahl sehr überschaubar, doch die Anbieter prophezeien stolz, dass sie um „mindestens drei Lektionen pro Monat“ wachsen soll. Diese Anbieter, dasist zunächst einmal natürlich die kik AG, bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass jedes Arbeitsblatt seinen eigenen Anbieter hat:Warner Brothers präsentiert die Sequenz zum Film Buddenbrooks, Minimax steuert Vorschläge zu einem Projekttag „Feuerwehr“ bei und der Fleischereifachverband zeichnet für ein Arbeitsblatt zum Thema „Berufe“ verantwortlich, nach dessen eingehender Besprechung die Bewerberquoten in den Metzgereien landauf landab explodieren dürften. Das ist natürlich erfreulich für karnivorische Feinschmecker, Verfechter der unabhängigen Bildung könnte es aber weniger begeistern. Dem kompletten Portal Schleichwerbung unterstellen zu wollen wäre allerdings etwas radikal und auch nicht fair. Immerhin bietet es großteils wirklich gut gestaltetes Material, das meist sehr schön und professionell gemacht ist und wirklich hilfreich sein kann, sofern es kritisch betrachtet und nicht ungeprüft kopiert und verteilt wird – dass das allerdings unabhängig von kiknet immer und überall angebracht ist, darin wären sich wohl nicht nur die besagten Karnivoren und Bildungsverfechter einig. Ein zweites Portal mit eher überraschendem Anbieter ist das Medienportal der Siemens Stiftung. Auch bei dem Elektronik-Konzern tummeln sich offenbar Menschen, die kommenden Schüler-Generationen ihre traumatischen Arbeitsblatt-Erfahrungen ersparen wollen und zwar mit Hilfe von www.medienportal.siemens-stiftung.org. ImVergleich zu den meisten anderen Seiten ist diese so professionell aufgemacht, dass vorbeiklickende Pädagoginnen und Pädagogen sich wohl erst einmal verwundert die Augen reiben dürften: Sie werden von einem Begrüßungstext inklusive Einführungsvideo in Empfang genommen, um sich dann mittels ausgeklügelter Suchfunktion durch die Materialfluten zu klicken. Das Portal beschäftigt sich zwar fast ausschließlich mit den MINTFächern, also mit naturwissenschaftlichen und technischen Themen, bietet dazu aber ein nicht enden wollendes Sammelsurium an Informationen, Ideen, Material. Die Masse birgt allerdings auch ihre Schwierigkeiten: So hat die Suchfunktion zwar mehr Eingabefelder als andere Seiten überhaupt Inhalte, liefert aber trotzdem (oder vielleicht deshalb?) bisweilen eher abstruse oder gar keine Ergebnisse, dann wieder so viele Treffer, dass man den Sinn einer eingrenzenden Suche kurz anzweifeln möchte. Und auch wenn es schön ist, eine Auswahl zu haben: Wenn schon die Ergebnisliste leichten Schwindel hervorruft, kann das die Motivation zum Durchklicken schnell beeinträchtigen. Wirklich angenehm sind dagegen die angebotenen „Medienpakete“, die Informationen zu einem Themenkomplex übersichtlich und sortiert bündeln und so bisweilen schlüssiges und sinnvolles Material für ganze Sequenzen wie „Wasser“ oder „Kommunikationstechniken“ bieten. Das entschädigt tatsächlich wieder für die müßige Suche und zaubert vor allem auf Physik- und Chemielehrerinnen und -lehrer-Gesichter sicher das ein oder andere Lächeln. Mein LO – Spiel, Spaß und Spannung bei Lehrer Online Last but not least darf natürlich die Mutter aller Schul-Portale nicht fehlen: Lehrer Online. 1998 von Schulen ans Netz e.V. gegründet, um es Lehrerinnen und Lehrern zu erleichtern, auch neue Medien im Unterricht einzusetzen, erhielt das Portal einen solchen Zuspruch, dass es nach zehn Jahren seine eigene Betreibergesellschaft – die lo-net GmbH – gründete und sich vom kleinen Hilfe-Tool zur umfassenden Hamsterkiste gemausert hat, in der Lehrerinnen und Lehrer fast alles finden können, was man sich wünschen kann im Schulalltag. „Einmal hin, alles drin“, möchte man sagen. Zentrales Angebot ist nach wie vor Lehrer-Online.de, wo es Nachrichten, Infos, Tipps, Rezensionen – und vor allem natürlich Unterrichtsmaterialien aller Art gibt. Auch wenn Menschen mit ausgeprägtem Ordnungssinn bei Anblick der Seite kurz in Stress geraten könnten und auch die Zeremonie, bis man tatsächlich auf der Seite angemeldet ist, heftiges Geklicke und Getippe und einen langen Geduldsfaden erfordert, entschädigt das Portal mit seinen Inhalten allemal. Hier wird nämlich eine Fülle an Materialien angeboten, die sich großteils am Lehrplan orientieren, ordentlich markiert und sortiert sind und zu fast jedem Thema wirklich nützliche Informationen, Vordrucke, Ideen et cetera bieten. Und das Sahnehäubchen dazu: Lehrer Online bietet nicht nur ‚normale’, analoge Arbeitsblätter in digitaler Form, sondern hat sich auch inhaltlich ganz der Medienkompetenz verschrieben. So gibt es zu den meisten Themen Links, Online-Infos, WebQuests, Filme, Audio-Beiträge, Anleitungen zur medialen Aufarbeitung und und und. Nicht nur Reproduktion, sondern gleich eine richtig schöne Transferleistung dazu also. Neben den 'Hauptseite’ bietet LO außerdem noch lo-net2, einen komplett digitalen Arbeitsraum für ganze Schulen oder einzelne Klassen, wo Lehrende und Lernende mit Hilfe von eigenen Seiten, Wikis, Messengern, Gruppenräumen und Lesezeichen an ihren Themen und Projekten arbeiten können und primolo, einen Webseiten-Generator für Grundschulen. Und schließlich gibt es zusätzliche, nützliche Seiten wie lo-recht, lo-eltern, lo-kompakt oder lo-shop. Alles in allem lässt sich festhalten: Wer nicht nur auf der Suche nach ein paar neuen Comics für die Arbeitsblätter ist, sondern es ernst meint mit den neuen Medien, wird bei Lehrer Online schnell sein persönliches Schlaraffenland finden. Fazit: Klassenziel erreicht 4teachers, kiknet, Lehrer Online – die fünf vorgestellten Angebote sind natürlich nur ein winziger Ausschnitt dessen, was das Internet zu bieten hat. Eines zeigen sie aber: Die Pädagoginnen und Pädagogen haben ihre Hausaufgaben gemacht und so mancher Pritt-Stift dürfte schon gnadenlos eingetrocknet sein, während dagegen die eine oder andere Tastatur aus dem Glühen kaum heraus kommt. Das heißt natürlich nicht, dass alles was digital ist, gleich gut ist – kritisches Mitdenken ist von den Lehrerinnen und Lehrern sowohl off- als auch online gefragt. Nichtsdestotrotz bieten die Weiten des Netzes eine schier endlose Fülle an nützlichem, schlauem, sinnvollem,unterhaltsamem, gutem Material und wer sich die Mühe macht, findet sicher zu jedem Thema gute Hilfen, Anregungen und Rüstzeug für den Schulalltag und das ganz ohne Vergilbungen und Eselsohren. Das gibt eine klare 1 mit Sternchen.www.4teachers.dewww.unterrichtsmaterial-schule.dewww.kiknet.orgwww.medienportal.siemens-stiftung.orgwww.lehrer-online.de