Bloech, Michael, Günther Anfang, and Nicole Lohfink. "Die 75. Berlinale." merz | medien + erziehung 69, no. 2 (2025): 82–89. https://doi.org/10.21240/merz/2025.02.18.
Abstract:
Frischer Wind Michael Bloech Nach dem eher unglücklichen Agieren der beiden vorherigen Leitenden der Filmfestspiele (Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian) standen bei der 75. Berlinale mit der neuen Intendantin, der US-Amerikanerin Tricia Tuttle, einige Veränderungen an. Es galt, die politisch engagierte, weltoffene Berlinale in interessanteres Fahrwasser zu transformieren, ohne ihren Anspruch aufzugeben. Im Vorfeld gelang es Tricia Tuttle erfreulicherweise, den Anteil an Frauen unter den Filmschaffenden entscheidend zu steigern und das Filmangebot im Vergleich zu den vergangenen Jahren zu verschlanken. Die gut gelaunte Eröffnung Schon die Festivaleröffnung bot Anlass zur Hoffnung, dass alles besser werden würde. Der Regisseur Edward Berger (Konklave) lieferte eine wohltemperierte, launige Laudatio zu Tildas Swintons Ehrenbären, Tricia Tuttle gelobte Besserung und Tom Tykwer eröffnete die Berlinale mit seinem Film Das Licht. Der Film bedient ein ganzes Potpourri aktueller Themen wie Migration, Coming-of-Age, Klimakrise, Arbeitswelt, Disruption klassischer Familienstrukturen, Queerness, Entwicklungshilfe, Computerspiele, Esoterik und vieles mehr. Diese bunte Gemengelage fächerte auch das Themenspektrum der diesjährigen Berlinale auf. Bezogen auf filmische Genres servierte Tykwer zwei Stunden lang einen bunten Strauß unterschiedlicher Filmformate – vom Musical-, Tanz- und Musikfilm über den klassischen Spielfilm bis hin zum Animationsfilm. Dabei könnte einem schwindelig werden, wäre der Film nicht so oberflächlich und emotionslos. Die Berlinale und der Antisemitismus Nach dem antisemitischen Eklat bei der Preisverleihung der vorigen Berlinale sollten dieses Jahr der Dialog, die Verständigung und das respektvolle Miteinander gestärkt werden. Allerdings erwies sich letzteres als kein leichtes Unterfangen. Tilda Swinton bedankte sich in der Rede zu ihrem Ehrenbären mit einem engagierten politischen Statement, das in Zusammenhang mit ihrer am nächsten Tag stattfindenden Pressekonferenz jedoch einen bitteren Nachgeschmack erhielt. Dort machte sie sich für die pro-palästinensische Kampagne BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) stark, die Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will und als extremistischer Verdachtsfall unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Ein weiterer Vorfall ereignete sich auf einer Veranstaltung in der Bildungseinrichtung Urania, während der der Regisseur Jun Li eine Rede des Schauspielers Erfan Shekarriz vorlas, der in seinem Film Queerpanorama mitspielt. In der Rede hieß es unter anderem, die Bundesrepublik und die Berlinale unterstützten einen Völkermord an den Palästinenser*innen. Die Berlinale verurteilte umgehend diese Behauptungen und der Staatsschutz des Landeskriminalamts leitete Ermittlungen ein. Dass es auch ohne Hass und Verachtung geht, zeigte der Dokumentarfilm Holding Liat von Brendon Kramer, der das Schicksal der Familie einer von der Hamas entführten israelischen Geisel schildert und sich für Aussöhnung und ein gleichberechtigtes Miteinander ausspricht. Filmkunst als Kompass Ein Filmfestival lebt vor allem von den gezeigten Filmen und die Berlinale insbesondere von Produktionen, die in der Sektion Wettbewerb zu sehen sind. Hier legte Tuttle vor allem Wert auf Filmkunst. Diese strenge Ausrichtung erfordert beim Publikum Mut, Verständnis und Wohlwollen, sich mit Filmen abseits des Mainstreams auseinanderzusetzen. Der Plan der Berlinale war somit ambitioniert, einerseits Stars zu präsentieren und andererseits nicht nur die Presse zu bedienen, sondern auch das Berliner Publikum zu erreichen. Mit weit über 300.000 verkauften Tickets ging der Plan aber auf und das Publikum fand viele interessante Filme nicht nur im Wettbewerb, sondern auch in den weiteren Sektionen. Dabei stachen einige Schwerpunkte aus dem Programm hervor. Zum Beispiel durch Einblicke in das Leben ethnischer Minderheiten, wie mit Zhi Whu Xue Jia (Der Botaniker) über einen kasachischen Jungen im chinesischen Grenzgebiet oder Uiksaringitara (Der falsche Ehemann) über das Leben der Inuit in Kanada. Da waren auch viele Geschichten, die dem Publikum die vielfältigen Perspektiven zentraler Frauenfiguren näherbrachten, so in Village Rockstars 2, in dessen Zentrum ein junges, nordindisches Mädchen das Überleben lernt oder in Stolz & Eigensinn über berufliche Wege von Frauen aus der ehemaligen DDR. Und es gab zeitaktuelle Schlaglichter auf Krieg und Politik wie den erwähnten Holding Liat oder den dokumentarischen Film Evidence über die politische Wegbereitung des Amerikas von heute. Ebenfalls stark vertreten waren Animations-Filme, die inhaltlich gleichermaßen als Sprachrohr für ungehörte, junge Stimmen fungierten. Im Folgenden wird über einige beachtenswerte Filme berichtet. Die Filme HELDIN Michael Bloech Einer der sehenswerten Filme, die nicht im Wettbewerb liefen, war die schweizerisch-deutsche Produktion Heldin von Petra Volpe. Im Zentrum der packenden Geschichte steht die junge Krankenschwester Floria, berührend gespielt von Leonie Benesch, die 2023 für ihre Rolle im Drama Das Lehrerzimmer bereits den Deutschen Filmpreis für die beste weibliche Hauptrolle erhielt. Vor allem Benesch ist es zu verdanken, dass man bei Heldin tief in den belastenden Alltag einer Krankenschwester eintaucht. Mit dem schnellen, hektischen, unbarmherzigen Tempo des Films wird die physische und psychische Belastung im aktuellen Gesundheitssystem deutlich, das unter Personalmangel und finanzieller Not leidet. All dies wird emotional dicht präsentiert, ohne dabei zu sehr den moralischen Zeigefinger zu erheben. Das ungeheure Tempo wird durch die peitschende Musik nachdrücklich unterstützt, die dem Publikum im ersten Teil des Films keine Sekunde der Entspannung gönnt. Dennoch ist Volpes Film kein effekthascherisches Action drama, sondern die gefühlvolle Umsetzung eines wichtigen Themas. Beim Zuschauen leidet man buchstäblich mit, wenn Floria versucht, sich immer wieder durch die Spätschicht mit all den belastenden Situationen ‚durchzuschlagen‘. Dabei ist die Figur der Floria dem Druck des enormen filmischen Tempos nicht schutzlos ausgeliefert. Sie wird als kompetente Frau präsentiert, die sich engagiert und routiniert ihren Aufgaben stellt und trotz Fehlern mutige Entscheidungen trifft. Floria zerbricht nicht, sondern gewinnt an emotionaler Tiefe und Glaubwürdigkeit. Genau in diesen Momenten nimmt Volpe das Tempo aus ihrem Film heraus und gönnt ihrer Protagonistin und den Zuschauenden Momente der Ruhe und des Nachdenkens. Auch die Kameraarbeit sorgt dafür, dass man sich dem Geschehen auf der Leinwand kaum entziehen kann. Man leidet förmlich körperlich mit, wenn Floria durch die Krankenhausgänge eilt und die Kamera sie dabei unerbittlich verfolgt. Diese visuell beeindruckende Umsetzung gelingt der zu Recht mit Preisen überhäuften Kamerafrau Judith Kaufmann. Kurz gesagt, dieser politisch wichtige Film ist ein kleines filmisches Meisterwerk. ZIRKUSKIND Michael Bloech In der Sektion Generation werden Filme für das junge Publikum gezeigt. Auch hier finden sich beachtliche Produktionen. Ein kleines Highlight war der deutsche Dokumentarfilm Zirkuskind der Filmemacherinnen Julia Lemke und Anna Koch. Auf unterhaltsame, informative und für das junge Publikum spannende Weise gibt der Film Einblicke in den Alltag eines kleinen familiengeführten Zirkus. Der 11-jährige Santino und sein Ur-Opa Ehe führen uns in eine Welt voller Magie und Attraktionen, aber auch der Vorurteile, der Anstrengungen, der Entbehrungen. Über ein Jahr begleitete das Filmteam den Zirkus und näherte sich respektvoll Santino und Ehe, ohne das Zirkusleben zu romantisieren. Vor allem vermittelt der Film, wie wichtig es den Zirkuskünstler*innen ist, sich in allen Situationen auf andere verlassen zu können und in der Geborgenheit einer funktionierenden Gemeinschaft zu leben. Die artistischen Zirkusszenen und Tiernummern sind einfühlsam von der Kamera eingefangen und werden wohldosiert eingesetzt, sodass niemals Langeweile entsteht. Didaktisch gelungen sind darüber hinaus die Animationsfilmpassagen, die historische Informationen für Kinder verständlich aufbereiten. Ein paar kleine Wermutstropfen gibt es trotzdem, da der prekäre Umgang mit Zirkustieren genauso nur gestreift wird wie die Risiken artistischer Darbietungen oder auch die Problematik patriarchaler Strukturen. Allerdings sind diese komplexen Themenfelder in einem Kinderfilm nicht einfach umzusetzen. Mit spielerischer Leichtigkeit offeriert der sympathische Film Kindern jede Menge Ansatzpunkte, um über das Gesehene mit ihren Eltern oder Freund*innen zu diskutieren und bietet Verständnis dafür, ungewöhnlich zu leben und dabei glücklich und geborgen zu sein. Zirkuskind gewann eine Lobende Erwähnung der Kinderjury und kommt voraussichtlich im Herbst in die deutschen Kinos. MUSIKFILME AUF DER BERLINALE Günther Anfang Musik spielte in einigen Filmen auf der diesjährigen Berlinale eine wichtige Rolle. So zum Beispiel im Eröffnungsfilm Das Licht von Tom Tykwer, in dem Musicalelemente und Tanz- und Gesangseinlagen zu Liedern von Abba und Queen eingebaut sind, oder im Dokumentarfilm Monk in Pieces über die visionäre Komponistin und Performerin Meredith Monk. Auch im indischen Coming-of-Age-Film Village Rockstars 2 spielt Musik eine wichtige Rolle und vermittelt das Lebensgefühl junger Menschen in der indischen Provinz Assam. Besonders herausstechend und für die Musikgeschichte wichtig waren aber die beiden Spielfilme A Complete Unknown von James Mangold über den frühen Bob Dylan und Köln 75, eine filmische Zeitreise zum legendären Köln Concert des Musikers Keith Jarrett im Jahr 1975. Beide Filme nähern sich der Musikgeschichte aus unterschiedlichen Perspektiven – der eine als Portrait eines aufsteigenden Künstlers, der andere als Erinnerungsreise an ein Konzert mit vielen Hindernissen. A COMPLETE UNKNOWN – DYLAN ZWISCHEN FOLK UND ROCK A Complete Unknown ist Bob Dylan (gespielt von Timothée Chalamet), als er 1961 mit seiner Gitarre in New York City ankommt. Als erstes besucht er sein Idol Woody Guthrie, der schwer krank in einem Sanatorium liegt. Dort trifft er auch eine weitere Legende der Folkmusik, Pete Seeger, der ihm erste Kontakte zur New Yorker Folkszene vermittelt. Seine Begegnung mit Joan Baez (gespielt von Monica Barbaro), die bereits ein Star ist, ebnet ihm schließlich den Weg zu größerer Bekanntheit. Die beiden treten gemeinsam auf und Dylan findet sich bald in einem Spannungsfeld wieder –musikalisch und persönlich. Während er sich zwischen zwei Frauen bewegt, entfaltet sich Dylans rasanter Aufstieg zum Superstar. Pete Seeger unterstützt ihn dabei kräftig und trägt dazu bei, dass er vor allem auf dem Newport Folkfestival einen immer wichtigeren Platz bekommt. Die Entscheidung, seine Musik zu elektrifizieren sorgt jedoch für einen Bruch mit der traditionellen Folk-Szene. Das legendäre ‚Buhhh‘-Konzert in Newport markiert diesen Wendepunkt, doch Dylan lässt sich nicht beirren und setzt seinen Weg fort. Der Film, basierend auf dem Buch Dylan Goes Electric! von Elijah Wald, zeigt, dass seine musikalische Transformation unaufhaltsam ist und ihn letztlich zum Weltstar macht. James Mangold gelingt es dabei, Dylan nicht nur als Musiker, sondern auch als rastlose, ambivalente Persönlichkeit darzustellen. Die Musik, die sorgfältig ausgewählt wurde, trägt entscheidend zur Atmosphäre bei, ebenso wie Timothée Chalamet in der Hauptrolle, der die verschiedenen Facetten Dylans überzeugend verkörpert. Auch wenn Dylans Biografie schon mehrfach verfilmt wurde, unter anderem von Martin Scorsese und zuletzt von Tod Haynes in I‘m Not There (2007), in dem sechs verschiedene Schauspieler*innen sein Leben und Wirken beleuchten, ist A Complete Unknown auf alle Fälle ein Must für alle Dylan-Fans. Gerade seine frühe Musik und auch sein Wechsel zur E-Gitarre sind Meilensteine der Musikgeschichte und zeigen, warum Dylan schließlich auch mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. KÖLN 75 – EIN KONZERT, DAS GESCHICHTE SCHRIEB Während A Complete Unknown eine internationale Musikikone ins Zentrum rückt, widmet sich Köln 75 einer weniger bekannten, aber ebenso faszinierenden und wahren Episode der Musikgeschichte. Der Film beleuchtet die Herausforderungen, die mit der Organisation eines bahnbrechenden Konzerts in Köln verbunden waren – erzählt aus der Perspektive der damals erst 20-jährigen Organisatorin Vera Brandes. Trotz zahlreicher Hindernisse gelingt es ihr, ein Konzert mit Keith Jarrett zu realisieren, das später als The Köln Concert weltberühmt wird. Mala Emde spielt die Rolle der Vera Brandes, während John Magaro Keith Jarrett verkörpert. Sie setzt sich durch gegen den Widerstand ihres Vaters, gespielt von Ulrich Tukur, und auch gegen den Willen Keith Jarretts, der von Rückenschmerzen geplagt ist und auf einem Klavier spielen soll, das technisch defekt ist. Brandes veranstaltet trotz allem ein Konzert, das als Schallplatte in den späten 1970er und frühen 1980er-Jahren in jedem Plattenschrank zu finden war. Regisseur Richard Roehrig setzt dabei auf eine Mischung aus Archivmaterial und Interviews, die das Lebensgefühl der 1970er-Jahre lebendig werden lassen. Die persönliche Perspektive der jungen Organisatorin verleiht dem Film dabei eine Authentizität, die über die reine Konzertgeschichte hinausgeht. Die Bedingungen, unter denen Konzerte von Jazzmusiker*innen stattfanden, waren damals alles andere als hervorragend. Da sie sich ein Flugticket nicht leisten können, reisen Jarrett und sein Produzent mit einem ziemlich klapprigen Auto von Lausanne nach Köln an. Völlig fertig und von Rückenschmerzen geplagt soll Jarrett um 23 Uhr in der Kölner Oper nach dem Bühnenstück Lulu auftreten. Allerdings wurde der dafür georderte Konzertflügel nicht geliefert und stattdessen ein Übungsklavier aus der Besenkammer zur Verfügung gestellt. Nun beginnt ein Wettlauf, damit das Konzert doch noch stattfinden kann. Vera Brandes setzt alles daran, die Voraussetzungen für das Konzert doch noch zu schaffen. Ein Konzertflügel aus dem nahegelegenen Gymnasium scheitert, das Übungsklavier kann nur notdürftig repariert werden – Keith Jarrett will unter diesen Umständen auf gar keinen Fall spielen. Doch Brandes gelingt es schließlich, ihn zu überzeugen. Das Konzert wird gerade deshalb ein Welterfolg, da es mit eingeschränkten Mitteln eine Improvisation ermöglicht, die bisher nicht dagewesen ist. Einziger Wermutstropfen: Im Film wird kein einziges Stück des Köln Concerts gespielt. Jarrett hatte das verboten, weil er das Konzert nach wie vor nicht gut findet. Deshalb meine Empfehlung: nach dem Film den Plattenschrank öffnen, das Köln Concert auflegen und bei einem Rotwein genießen. SPACE CADET – ROBOT, CELESTE & DAS ALL Nicole Lohfink Der kanadische Film Space Cadet ist liebevoll animiert und kommt fast ohne Dialoge aus. Im Mittelpunkt stehen Robot und die kleine Celeste, die jung ihre Mutter, eine Astronautin, verloren hat. Robot zieht Celeste auf und begleitet ihre Entwicklung zur Wissenschaftlerin und Astronautin. Als Celeste in die Fußstapfen ihrer Mutter tritt und zu ihrer ersten Weltraummission aufbricht, ist Robot stolz und voll der Unterstützung, kommt aber mit der Trennung nicht gut klar. Für Celeste dagegen ergeben sich ungeahnte Herausforderungen und sie muss ihr ganzes erlerntes Wissen, sowie Erinnerungen aus ihrer Kindheit aufwenden, um sich allein in unwirtlicher Umgebung zu behaupten. Als Sinnbild für familiäre Bande und mit viel Liebe zum Detail nimmt der Film das Publikum mit auf eine empathische Reise, begleitet von musikalischer Leichtigkeit. Dabei werden behutsam Themen wie Trennung und Verlust behandelt, aber auch Freude und Neuanfänge. Wenn Robot in seiner Datenbank den ersten Auftritt Celestes in der Schulaufführung und andere ‚Erinnerungen‘ abspielt, weil sie ihm fehlt und sein Alltag unvollständig ist, berührt das genauso, wie Celestes Erstkontakt mit einer musikalischen Pflanze und ihrer Freude über ihre Entdeckung. Mit leisem Humor und fantasievollen Zeichnungen, aber auch mit einem Gespür für Situationen, schaut der Film genau hin und findet eine animierte Entsprechung. Zusätzlich sorgt eine spannende Dramaturgie dafür, dass das Publikum auf der Stuhlkante sitzt, wenn Celeste sich mit Einfallsreichtum aus einer verzweifelten Situation befreien will. Wenn Robots alternder, voller Speicherkern nach dem Abspielen der ‚Erinnerung‘ abfragt, ob er die Aufnahme löschen oder sichern will, ist es die Taste ‚Sichern‘, die groß im Bild ist – und Robots Entscheidung, die Erlebnisse mit Celeste zu behalten. Ein sehenswerter Film, der seine Geschichte und die damit verbundenen Emotionen allein über die Kraft der Bildsprache transportiert. TALES FROM THE MAGIC GARDEN – GESCHICHTEN AUS DEM MAGISCHEN GARTEN Dieser Film basiert lose auf einem Kinderbuch und punktete vor allem mit der Machart der Stop-Motion-Animation beim Publikum. Mit einer klar strukturierten Erzählform und spielerisch wechselnden Perspektiven zieht der Film seine Zuschauer*innen von Anfang an in den Bann. Das Geschehen dreht sich um die drei Geschwisterkinder Tom, Suzanne und Derek, die ihre Großeltern zum ersten Mal seit dem Tod der Großmutter besuchen. „Wo ist denn Oma?“ fragt der Jüngste beim Ankommen und die Reaktionen vom stummen Großvater, der Mutter und vor allem der beiden älteren Geschwister werden zum Spiegelbild ihres Umgangs mit Trauer. Doch Omas Ritual des Geschichten-Erfindens wird von der mittleren Tochter Suzanne aufgegriffen und zum Sprungbrett für ein Wiederaufleben der schönen Zeiten. Der Film nutzt geschickt die Idee der ‚Geschichte in der Geschichte‘ und schickt die Zusehenden auf kleine Zwischenabenteuer, die ideenreich gestaltet sind und bei denen die Kinder sich wieder an den Spaß erinnern, den sie mit ihrer Oma immer hatten. Einziges Manko hier sind die manchmal unbeendeten Ausstiege aus den Episoden, sowie teilweise schwache Charaktere und Dialoge. Dennoch überwiegt die Reichhaltigkeit dieser Szenarien. Auch die zentrale Botschaft der Geschichte hilft über Schwächen hinweg: Durch das Erzählen der Schwester wird der Verlust in eine wertschätzende Erinnerung gewandelt und die geliebte und vermisste Oma wird gewürdigt. Der Film feiert die Kraft der Fantasie und des gemeinsamen (Abenteuer-)Erlebens und ent- lässt die Zusehenden ähnlich wie nach einer Karussellfahrt mit vielen bunten und aufre- genden Eindrücken. Space Cadet und Tales from the Magic Garden sind eindrucksvolle Beispiele dafür, dass es starke Animationsfilme jenseits der großen Produktionsstätten gibt. Ihre unterschiedliche Machart verweißt darauf, welche Vielfalt und Authentizität in diesen Kunstformen erreicht werden kann, gerade im Umgang mit Themen wie Verlust, Trauer und Erwachsenwerden. So zeigte die Vielfalt der Animationsfilme auf der Berlinale die Kraft dieser immer noch oft in ein Nischen-Dasein verbannten Erzählform – und konnte zugleich Begeisterung für ein Fest der Fantasie und der Darstellungsmöglichkeiten schaffen.