Schorb, Bernd, and Susanne Eggert. "E-Learning." merz | medien + erziehung 57, no. 5 (2013): 8–11. https://doi.org/10.21240/merz/2013.5.7.
Abstract:
E-Learning ist heute aus keinem pädagogischen Lehrraum mehr wegzudenken. In allen Bereichen von Schule über die berufliche bis zur universitären Ausbildung und besonders im Bereich der beruflichen Weiterbildung und Schulung hat es sich etabliert. Allerdings, unter E-Learning wird sehr häufig die bloße Multiplikation von PowerPoint-Präsentationen erfasst. Eine oft schon erprobte Lehreinheit wird visualisiert, statt mit Plastikfolien mit PowerPoint als dem roten Faden eines Vortrages. Die elektronischen Folien werden anschließend für die Nachbereitung im Netz belassen. Auch die Information – manches Mal auch Auflockerung – mittels auditiver Materialien wie Interviews und Vorträgen sowie visueller Grafiken, Fotografien und Videos in Curricula und Seminaren wird als E-Learning bezeichnet. Ebenso häufig ist E-Learning nichts anderes als der Ersatz von schriftlichen Materialien durch digitale. An den Universitäten beispielsweise nutzen die Lehrenden die vorhandenen Lernplattformen, um ihren prüfungsrelevanten Lehrstoff zu lagern und abrufbar zu machen: ihr Vorlesungsskript und die Pflichtliteratur. Gemeinsam ist den meisten Vorhaben, dass sie das Etikett elektronisches Lernen nutzen, aber keine Konzeption oder gar ein ausgearbeitetes Modell zugrundegelegt ist. Eher selten finden sich bis heute durchgestaltete, technisch und didaktisch fundierte Projekte, die sich bereits bewährt haben, sich einer ständigen Evaluation unterziehen und sich als Vorbilder für andere eignen. Die Gründe dafür, dass es heute viele – zumindest nominelle – E-Learning Projekte gibt, sind vielfältig. Zum einen sind in den letzten zwanzig Jahren gezielt öffentliche Mittel, aber auch Zuwendungen von Stiftungen wie beispielsweise der VW-Stiftung in die Entwicklung von Modellen des E-Learning geflossen und sie fließen noch immer. Die vielen Modelle, die in Aus- und Weiterbildung finanziert wurden, haben sich in der Weise niedergeschlagen, dass heute fast flächendeckend Lernplattformen genutzt werden. Zugleich hat die Etablierung von E-Learning Plattformen bei den Bildungseinrichtungen zu einem Ausbau der Infrastrukturen und neuen Arbeitsbereichen geführt. Die Anbieter kommerzieller Plattformen verdienen gut am E-Learning Boom und die Anpassung, Betreuung und Weiterentwicklung der zum Einsatz kommenden Software braucht sachkundiges Personal.So hat jede Universität heute einen eigenen Bereich, der mit unterschiedlichen Benennungen, die diversen E-Learning Aktivitäten berät und mehr oder minder auch betreut. Die notwendige Betreuung ist nur für den technischen Betrieb von Plattformen gewährleistet, sie sorgt dafür, dass sie ‚funktionieren‘. Aber auch hier gibt es, je nach Finanzausstattung noch viele offene Wünsche. Die kommerziellen E-Learning Plattformen sind häufig nicht auf eine kooperative, offene und flexible Gestaltung des Lehr-Lernprozesses ausgerichtet und haben mangelhafte Mitgestaltungsmöglichkeiten für die Lernenden, außerdem sind sie teuer. Die frei zugänglichen, nichtkommerziellen Plattformen werden oft nicht ausreichend gewartet und/oder überfordern die technisch-organisatorischen Kapazitäten der Einrichtungen, die die E-Learning Anwendungen betreuen. Drei besondere Problembereiche sind hier zu nennen: Bedienung, Interaktivität und Einbindung anderer Medien. Die Bedienung der Lernplattformen folgt oft einer eigenen Logik, in die sich die Nutzenden erst einarbeiten müssen. Das hat zur Folge, dass die betreuenden Bereiche damit ausgelastet sind, Lehrende und Lernende in die Nutzung der Plattformen einzuweisen und ihnen die Zeit zur Wartung und Weiterentwicklung der Plattformen fehlt. Damit direkt in Verbindung steht die mangelnde Interaktivität vieler Plattformen. Die interaktiven Möglichkeiten werden nicht genutzt, weil die Schwierigkeiten in der Bedienung und vor allem die komplizierte Struktur der Wege und Möglichkeiten die Nutzenden überfordern. Auch technische Mängel mancher Plattformen wie die Unmöglichkeit, Dateiordner, Filme oder Sprache einzubinden, verhindern eine interaktiv gestaltende Nutzung der Angebote. Das Hauptproblem aber ist die Didaktik. Bei der Einführung neuer Medien in Bildungseinrichtungen hat sich schon immer eine Diskrepanz aufgetan zwischen dem technischen Aufwand und der pädagogischen Qualität der Nutzung der Technik. Die Geschichte des programmierten Lernens, das schon in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Unterrichtung der Lernenden mittels Medien effektivieren und optimieren sollte, zeigt, dass zwar Staat und Wirtschaft Mittel für die Hardware zur Verfügung gestellt haben, dass aber pädagogische Konzepte für deren Einsatz ebenso fehlten, wie die Motivation der Lehrenden die Medientechniken zu nutzen. Programmiertes Lernen beispielsweise wurde in aufwändigen Modellprojekten finanziell gefördert, fand aber nie Eingang in die Wirklichkeit des institutionalisierten Lehrens und Lernens. Video-und Sprachlabore, von den späten 60-er bis in die 80-er Jahre des letzten Jahrhunderts en vogue, sind heute weitestgehend verschwunden. Selbst E-Learning war über mindestens ein Jahrzehnt an den Universitäten ein aufwändiger Experimentalbereich einzelner Projekte, der zwar keinerlei Breitenwirkung hatte, aber gut finanziert war und nützlich für den Ruf der Hochschule als modern und aufgeschlossen. Der pädagogisch nicht ausreichend fundierte Einsatz von E-Learning liegt, neben den bereits benannten technisch-organisatorischen Problemen, darin begründet, dass es an mediendidaktischen Konzepten mangelt. E-Learning unterscheidet sich von anderen medialen Optimierungstechniken dadurch, dass nahezu alle Funktionen, die die Lernplattformen anbieten, den Lernenden prinzipiell bekannt sind: Lesen und Schreiben von Texten, Abrufen von audiovisuellen Medien, Kommunikation mit anderen, Interaktives Handeln bei gemeinsamen Interessen, Präsentation von eigenen Werken. Alle diese Spezifika der Plattformen finden sich auch auf den Netzplattformen, die dem sozialen Austausch oder der Unterhaltung dienen. Allerdings orientieren sich die Bedienungsvorgaben hier im Gegensatz zu den Lernplattformen an den Interessen der Nutzenden an Kommunikation, Information und Unterhaltung. Die gewünschten Funktionen sind für die Nutzenden einfach und schnell zu entdecken und zu bedienen. Die Lernplattformen richteten sich bislang weniger an den Interessen ihrer Nutzenden aus als an den technischen Möglichkeiten, vorgestaltet portioniertes Wissen zu verbreiten. Zu heutigen E-Learning Angeboten werden Instruktionstechniken, theoretisch orientiert an Modellen der Kognitionspsychologie angeboten. E-Learning Modelle zeichneten (und zeichnen sich häufig noch immer) durch die Aufbereitung und Umsetzung von Lehrstoffen aus, wobei der Inhalt des Gelehrten ebenso wie die Voraussetzungen der Lernenden von sekundärer Bedeutung sind. In den letzten Jahren jedoch gerieten neben der Technik und bildungstechnologischen Lerntheorien auch andere Theorien der Mediendidaktik ins Blickfeld. Eine der heute (wieder) diskutierten Theorien ist die des ‚Instructional Design‘, die zwar schon in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts von Gagné aufgestellt wurde, sich zwar am Lernstoff orientiert, aber sich zumindest in ihrer Methodik an Empirie orientiert, also statt bloß Vorgaben zu machen, deren Effektivität überprüft. Weiter entwickelt wird dieser Ansatz in ‚Design based‘ Modellen, die die didaktischen Innovationen im Prozess des Lehrens und Lernens entwickeln und evaluieren. Überraschend ist, dass die nahezu vergessene Handlungs- und Aktionsforschung im Kontext elektronischen Lernens wieder diskutiert wird. Sie ist auf dem Umweg über die USA und die Diskussion um den Ansatz des ‚Design based research‘ in die Debatte um die Didaktik des E-Learnings einbezogen worden. Insbesondere die Beteiligung der Lernenden an der Gestaltung der vermittelten Informationen und der Prozesscharakter, der Lehren und Lernen als Ermöglichung, nicht als geschlossene Vorgabe sieht, werden hier herausgestellt. In diesen Ansätzen einer Mediendidaktik als Strukturierungsangebot für einen offenen Lernprozess werden auch die Erfahrungen von Pädagoginnen und Pädagogen einbezogen, die gehofft hatten, mittels der Techniken des E-Learnings von der einseitigen Vermittlung reinen Lehrstoffs entlastet zu werden und sich mehr den Möglichkeiten des handelnden, exemplarischen und sozialen Lernens widmen zu können. Gerade die Frage der sozialen Einbettung des Lernens ist ein nicht gelöstes Desiderat des E-Learnings. Wissensaneignung ist ein sozialer Prozess ist, der vor allem dort, wo Wissen vertieft und in Zusammenhängen erfasst werden soll, der unmittelbaren Kommunikation bedarf und nicht nur auf elektronischem Wege vermittelt werden kann, weil die Kommunikation grundsätzlich einseitig durch die technischen Bedingungen der Lehrplattformen bestimmt werden und die Möglichkeiten sozialen Lernens marginal sind. Zwar sind die meisten E-Learning Angebote heute zugleich solche des ‚Blended Learning‘, das heißt, dass eher anonymes elektronisches Lernen abwechselt mit Lernen in realen Seminargruppen, die es erlauben, alle positiven Möglichkeiten der personalen Kommunikation in den Lehr-Lernprozess einzubeziehen. Aber solange im Rahmen instruktionstechnischer Modelle des E-Learnings unter Gruppenarbeit die kollektive Ausrichtung einer Gruppe Lernender auf den identischen Lehrstoff und dessen kollektiver Messung in Klausuren verstanden wurde, konnte soziales Lernen nicht als Problem oder gar Notwendigkeit entdeckt werden. Mit der Einsicht, dass mittels Instruktionstechnologie nur Wissensbestände distribuiert und die subjektive Speicherung gemessen, aber keine komplexen Denkvorgänge gefördert werden, wurden Tore für die Überwindung dieses Mangels geöffnet. Wenngleich die meisten aktuellen Modelle des E-Learnings noch dem instruktionalen Einweglernen verpflichtet sind, so geht die Entwicklung doch dahin, die vorhandenen technischen Möglichkeiten den Notwendigkeiten eines sozial orientierten Lernens anzupassen, das heißt, handelndes und gestaltendes Lernen zu ermöglichen. Eine erfolgversprechende Entwicklung geht dahin, Lernplattformen mit den technischen und didaktischen Mitteln auszurüsten, die es erlauben, den Lehr-Lernprozess zu einem gemeinsamen von Lehrenden und Lernenden zu machen. Sollen Lernplattformen akzeptiert werden, so sollten sie sich der Fähigkeiten bedienen, die sich die Menschen im Umgang mit dem Netz angeeignet haben. Hierzu gehört zum Beispiel die Möglichkeit, Themen und Probleme zu vertiefen, medial zu gestalten und sie über die Plattformen den Mitlernenden anzubieten und einen kritischen Diskurs über das Gelernte zu führen. Vor 14 Jahren zu Beginn der Debatte um elektronisches Lernen habe ich am Beispiel virtueller Seminare in merz Postulate für E-Learning formuliert, die sich gegen die Verabsolutierung elektronischer Lernangebote wenden, aber sie sehr wohl als Ergänzung und Weiterentwicklung des Lehrens und Lernens sehen: „Sieht man sie nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der konventionellen Ausbildung und legt man vor allem Wert auf eine entsprechende lerntheoretische Fundierung, didaktische Gestaltung und hochschuldidaktische Einbettung […], so könnten sie geeignet sein, […] Sachverhalte […] differenziert aufbereitet und veranschaulicht […] orts- und zeitunabhängig weiterzugeben.“ Die vorliegenden Artikel zeigen, welche vielfältigen Wege E-Learning heute geht und wie weit es gekommen ist. Karla Spendrin setzt sich in ihrem Beitrag mit dem allgemeindidaktischen Berliner Modell und dessen Bedeutung für das E-Learning auseinander. Das Berliner Modell, das in den 60-er Jahren im Hinblick auf schulische Unterrichtssituationen entwickelt wurde, erläutert, welche Faktoren auf Lehr- und Lernprozesse einwirken und wie diese jeweils zusammenhängen. Da E-Learning nicht nur im schulischen Kontext angesiedelt ist, muss das Berliner Modell im Hinblick auf alle gestalteten Lehr- und Lernprozesse erweitert werden. Julia Glade und Anett Hübner greifen sich hier das Beispiel Hochschule heraus. Die zunehmende Bedeutung des E-Learnings ist hier nicht zu übersehen. Der richtige Weg, Online- und Präsenzlernen zu verbinden, bedeutet aber oftmals (noch) eine Herausforderung. Glade und Hübner zeigen, dass es hier vor allem auf didaktische Überlegungen ankommt. Anhand ihrer Erfahrungen aus dem E-Learning Projekt an der Universität Leipzig haben sie Handlungsanleitungen für die Konzeption und Durchführung von Blended Learning-Szenarien entwickelt. Dass E-Learning auch schon in der voruniversitären Bildung ‚in der Schule‘ seinen Platz hat, zeigt Jochen Hettinger. Er macht allerdings auch deutlich, dass „E-Learning im Sinne des Lehrens und Lernens mit Hilfe von Lernmanagementsystemen“ für die Schule zu eng gefasst ist. Um „das Potenzial der digitalen Medien für Schule zu entfalten und zu nutzen“ stellt er das Konzept des ‚mediengestützten Lernraums Schule‘ vor, dessen Ziel es ist, pädagogisch strukturierte Handlungs- und Erfahrungsräume zu schaffen. Weniger bestimmte Strukturen als vielmehr besondere Zielgruppen hat Christian Pfeffer-Hoffmann im Blick. Pfeffer-Hoffmann ist seit vielen Jahren in Forschungs- und Bildungsprojekten für bildungsbenachteiligte Zielgruppen engagiert. Menschen, die in ihrem Lernen durch Behinderung, Lernschwächen, Sprachschwierigkeiten oder den beschränkten Zugang zu Lernangeboten (zum Beispiel Menschen im Strafvollzug) eingeschränkt sind, werden auch im Hinblick auf die Entwicklung von Online-Lernangeboten bisher am wenigsten berücksichtigt. Dabei stecken im online-basierten Lernen gerade für diese Menschen immense Potenziale. Pfeffer-Hoffmann stellt einige herausragende Angebote vor und erläutert außerdem, warum die Verbreitung von Social Media einen „Quantensprung im Zugang zu digitalen Lernangeboten“ für bildungsbenachteiligte Zielgruppen bedeuten kann. Abschließend stellt Martin Ebner die ganz grundsätzliche Frage, ob die Technologie des E-Learnings überhaupt sinnvoll und notwendig ist, wenn es um eine Weiterentwicklung des Bildungsbereiches geht. Die Antwort ist eine positive. Allerdings nur dann, wenn Lehrende und Lernende hinreichend medienkompetent sind, um sich die Möglichkeiten der Medien von heute zunutze zu machen und zukünftigen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen sind. Ergänzt werden die inhaltichen Überlegungen durch die Erläuterungen von drei Stichworten, die in der Diskussion um E-Learning immer wieder fallen: Julia Glade stellt Open Educational Resources(OER) vor, Karla Spendrin Massive Open Online Courses (MOOCs) und Anett Hübner stellt dar, warum Lernplattformen trotz Web 2.o und Social Net nach wie vor sinnvoll sind. E-Learning ist zwar schon seit einiger Zeit in aller Munde. Was genau diese Form des Lehrens und Lernens aber bedeutet, welche Herausforderungen damit verbunden sind und welcher Voraussetzungen es bedarf, dass E-Learning einen Mehrwert hat, ist meistens nicht so ganz klar. Wir möchten mit dieser merz einige Antworten liefern, vor allem aber dazu anregen, die Entwicklung des E-Learnings kritisch zu verfolgen.